Männlichkeit

Männer mögen Fußball, sind besser in Mathe als im Aufräumen und interessieren sich für schnelle Autos. Oder?

Wenn wir uns Männer vorstellen, tauchen gleich eine ganze Reihe Klischees im Kopf auf. Wie Männer angeblich sind, was sie angeblich mögen und können. Diese Vorstellungen nennen wir Männlichkeit. Wenn ihr euch die realen Männer in eurem Umfeld anschaut, sind die aber einiges mehr als diese Stereotypen.

Und trotzdem haben die Klischees auch was mit der Realität zu tun. Aber was? Und wieso?

Erstmal vorweg: Es gibt kein Fußball-Liebe-Gen und es ist auch nicht in irgendwelchen Gehirnhälften, im Hodensack oder den Eierstöcken festgeschrieben, wer den Abwasch macht. Männlichkeit ist keine Frage von Körpern.

Männlichkeit – die Vorstellung, wie Männer sind

Trotzdem gibt es viele Männer, die Autos mögen und sich für Maschinen interessieren. Und das hat einen Grund: Die Vorstellungen und Bilder, wie Männer angeblich sind – also Männlichkeit –, wirken auf uns. Wir nennen das Männlichkeitsanforderungen: Wenn wir unser ganzes Leben gesagt bekommen, „Ein richtiger Mann mag Autos“, dann ist es nur folgerichtig, dass alle, die als Männer gelten wollen, sich irgendwie mit Autos beschäftigen müssen. Manche von uns interessieren sich irgendwann tatsächlich dafür, andere trotzdem nicht. Die Vorstellungen geben uns nicht vor, wer wir genau sein müssen. Aber wir alle müssen uns mit den Vorstellungen auseinandersetzen. Wir können uns an sie anpassen, sie ablehnen oder sie so hinbiegen, dass sie für uns passen.

Dabei gibt es nicht nur eine Vorstellung von Männlichkeit, sondern viele verschiedene. Die ändern sich auch immer wieder. Zum Beispiel ist heute die Vorstellung, dass Männer sich um Kinder kümmern oder Krankenpfleger sind, für die meisten Leute völlig normal. Vor 50 Jahren war das noch nicht so!

Männlichkeit früher und heute

Dass sich die Bilder davon, wie Männer sind, verändern, ist super. Es bedeutet mehr Möglichkeiten für jedes Individuum. Männlich ist heute auch, wer fürsorglich und zärtlich ist. Und dass Jungen heute andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen als raue, grobschlächtige Kerle mit großen Muskeln zu werden, ist für alle gut.

Was es heute bedeutet, ein richtiger Mann zu sein, lest ihr hier:

Gleichzeitig waren diese Bilder schon immer vielfältig und haben sich durch die Zeit gewandelt. Eines der berühmtesten Portraits vom französischen „Sonnenkönig“ Louis XIV zeigt ihn in hochhackigen Schuhen. Im 19. Jahrhundert galt es als besonders männlich „starke Gefühle [gemeint ist Liebe] zu empfinden und zum Ausdruck zu bringen, Versprechen zu machen und zu halten und sich zielstrebig an jemanden zu binden“ (Liv Strömquist (2020): Ich fühl’s nicht. Avant-verlag, S.41).

Kosten von Männlichkeit

Und dennoch denken viele Leute bei Männlichkeit immer noch an körperliche Stärke oder Mut. Andere Vorstellungen sind zum Beispiel, dass Männer besonders rational seien, oder ihre Emotionen besser kontrollieren könnten als Frauen und andere Geschlechter.

Mittlerweile ist vielen Leuten klar, dass diese Klischees nicht stimmen und negative Auswirkungen für alle haben. Die werden oft mit dem Begriff „toxische Männlichkeit“ zusammengefasst. Gemeint ist damit, dass Jungen und Männern beigebracht wird, dass sie keine Emotionen haben und zeigen dürfen, sich nicht um sich selbst und andere kümmern dürfen. Und dass sie stets die Kontrolle über sich und andere Leute behalten sollen. Diese Anforderungen führen zu Gewalt. Das kann zum Beispiel körperliche Gewalt sein, wie Schlagen oder sexuelle Übergriffe. Es kann aber auch weniger offensichtliche Gewalt sein. Zum Beispiel, wenn Frauen und anderen Geschlechtern einfach nicht zugehört wird, oder sie nicht ernst genommen werden.

Diese Männlichkeitsbilder sind für alle schlecht: für Männer, für Frauen, für Inter* und nicht-binäre Personen. Sie müssen sich ändern.

Heute gilt als männlich nicht nur, wer ein emotionaler Eiskübel ist. Moderne Männer wollen auch gute Partner und Väter sein. Männlichkeit heißt auch, andere Lösungswege in Konflikten zu finden, als sich zu prügeln. Wir wissen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Wir wollen diese Abhängigkeit voneinander nicht nur anerkennen, sondern feiern.

Männlichkeit darf nicht mehr Gewalt, Konkurrenz und Einsamkeit bedeuten. Dafür müssen sich Männlichkeitsbilder noch weiter öffnen. Das bedeutet, Jungen zuzugestehen und beizubringen, dass sie hilfsbedürftig und verletzlich sind, dass sie über Gefühle sprechen können, dass sie liebenswert sind, wenn sie sich nicht über andere stellen, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnen. Eine Erweiterung von Männlichkeit bedeutet, dass Jungen und Männer sich als ganze Menschen wahrnehmen dürfen.

Vorteile von Männlichkeit

Wir leben in einer Gesellschaft, die weiterhin Männer bevorzugt – zum Beispiel verdienen Männer besser. Einerseits, weil Berufe, die als „typisch männlich“ gelten, besser bezahlt werden. Andererseits verdienen Männer tendenziell mehr, auch wenn sie dem exakt gleichen Beruf wie eine Frau nachgehen.

Aber das ist nicht alles: Eigenschaften, die als „typisch männlich“ gelten, werden in dieser Gesellschaft höher bewertet und sind potentiell hilfreich, um gehobene Positionen zu erlangen. Bei Eigenschaften, die als „typisch weiblich“ gelten, ist das anders. Selbständigkeit beispielsweise gilt als „cool“, Abhängigkeit wird als Schwäche ausgelegt. Tatsächlich sind wir aber alle voneinander abhängig, eine völlig unabhängige Person gibt es nicht.

Viele der Vorteile beziehungsweise der Privilegien, die damit einhergehen, ein Mann zu sein, liegen auch in lange gewachsenen Strukturen und Netzwerken. Um nur ein Beispiel zu nennen: auch heute sind Burschenschaften noch ein wichtiger Ort, um Kontakte für die eigene Karriere zu knüpfen. Und die meisten Burschenschaften haben weiterhin nahezu nur Männer als Mitglieder. Aber auch der nette Schwatz unter Männern im Fußballstadion kann dazu gehören.

Diese Privilegierung von Männern und Männlichkeit wollen wir beenden.

Gleichzeitig sind viele der Eigenschaften und Stärken, die Männer aufgrund von Männlichkeitsbildern besonders häufig entwickeln, natürlich positiv: zum Beispiel Selbstvertrauen und die Fähigkeit, sich für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen. Das gleiche gilt für viele Eigenschaften, die aufgrund von Weiblichkeitsbildern Frauen besonders häufig entwickeln – wie zum Beispiel Empathie, Zuhören und sich verletzlich machen können. Diese positiven Eigenschaften sollten allen zur Verfügung stehen, unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben.