Was ist Weiblichkeit heute?
Traditionell wurde (und wird oft auch heute noch) von Frauen erwartet, dass sie Kinder bekommen, sich um die Familie kümmern und alles andere weniger wichtig finden. Feministische Bewegungen kämpfen schon lange dafür, dass es mehr Möglichkeiten und Freiheiten für Frauen gibt. Nur für Frauen? Nein, auch für nicht-binäre Personen und Männer soll es mehr als enge Geschlechterkorsetts geben. Wegen dieser Kämpfe, aber auch aufgrund wirtschaftlicher und anderer Veränderungen, sind die Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft in Bewegung.
Deswegen ist aber noch lange nicht alles einfach: Was heißt Weiblichkeit heute überhaupt noch? Wie kann ich mich weiblich fühlen und gleichzeitig emanzipiert? Oder umgekehrt, wie kann ich selbstbestimmt und selbstbewusst meinen eigenen Weg gehen, ohne dass andere mich unweiblich finden? Muss ich als Frau unbedingt weiblich sein?
Um diese Fragen zu beantworten, kann es helfen darüber nachzudenken, was wir meinen, wenn wir von Weiblichkeit sprechen. Wir meinen mit Weiblichkeit gesellschaftliche Bilder und Erwartungen an Menschen, die als Mädchen oder Frauen wahrgenommen werden, oder so wahrgenommen werden möchten. Wir sagen dazu auch Weiblichkeitsanforderungen. Diese Weiblichkeitsanforderungen werden über Erziehung, Medien, vorgelebte Rollen usw. an uns vermittelt, das heißt sie sind nicht biologisch oder genetisch vorgegeben.
Welche Erwartungen gibt es heutzutage an Frauen?
Eine immer noch sehr starke Weiblichkeitsanforderung ist zum Beispiel, dass Frauen schön sein sollen und sich um ihr Aussehen kümmern. Eine andere ist die Erwartung, dass Frauen Kinder bekommen wollen. Das heißt nicht, dass alle Frauen so sind. Aber alle, die als Frauen leben und anerkannt werden möchten, müssen sich irgendwie mit diesen Erwartungen auseinandersetzen. Sie können sie zum Beispiel erfüllen – also sich viel mit Beauty und Aussehen beschäftigen. Oder sie können sich davon abgrenzen – also nicht mit dem Hype um Schönheitsnormen mitgehen (mehr dazu im Text zu Schönheitsidealen). Oder sie können sie für sich umdeuten, und beispielsweise mehr auf innere Schönheit achten oder anderes schön finden, als das häufig vermittelt wird (z.B. haarige Achseln schön finden). Wenn mich als Frau Beauty nicht interessiert oder ich keine Kinder bekommen möchte, muss ich damit rechnen, dass andere Leute das komisch finden. Wahrscheinlich werde ich von manchen dafür abgewertet, zum Beispiel als „unweiblich“.
Weiblichkeitsanforderungen haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert: Die Erwartungen, dass Frauen Kinder bekommen, harmonisch sind, sich gerne um ihr Aussehen kümmern usw. gibt es immer noch. Gleichzeitig sind Erwartungen dazugekommen, die traditionell an Männer gerichtet werden: zum Beispiel durchsetzungsfähig sein, Karriere machen, stark und unabhängig sein.
Daraus entsteht eine ziemlich überfordernde Mischung: Wie soll frau es schaffen, gleichzeitig Karriere zu machen und die Familie in den Mittelpunkt zu stellen? Oder gleichzeitig harmonisch zu sein und durchsetzungsfähig, sich viel um die eigenen Beziehungen zu kümmern, aber auch unabhängig zu sein? Sex wollen, aber nicht zu leicht zu haben sein? Viele dieser Anforderungen widersprechen sich und am Ende bleibt oft das Gefühl, nicht alles zu schaffen und daran selbst schuld zu sein.
Wir finden es deshalb wichtig, darüber zu sprechen, dass es diese Anforderungen gibt. Sie wirken auf uns alle, ob wir das wollen oder nicht. Wir setzen uns für möglichst viele Freiheiten für alle Menschen ein, unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben. Die Vielfalt der Möglichkeiten soll uns offen stehen – wir wollen entscheiden können, wie wir leben wollen, ohne alles erfüllen und alles schaffen zu müssen.
Alles für Alle!
Wenn wir auf das schauen, was und wie Frauen sind, dann ist das unglaublich vielfältig! Es gibt Frauen, die möglichst viel zuhause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern möchten, und Frauen, die gar keine Kinder bekommen wollen, oder denen andere Bereiche ihres Lebens einfach wichtiger sind. Es gibt Frauen, die Fußball gucken, und Frauen, die das furchtbar langweilig finden. Frauen haben ganz unterschiedliche Interessen, Talente und Körper.
Und: Es gibt jede Menge Männer, inter* und nicht-binäre Personen, die Dinge mögen oder Interessen haben, die als „typisch weiblich“ gelten. Und das ist gut so. Wir finden, alles sollte allen offen stehen.
Auf die Frage, was Weiblichkeit heute bedeutet und wie ich mich weiblich fühlen kann, aber auch emanzipiert, gibt es deshalb ganz viele unterschiedliche Antworten. Ich kann Hausfrau und Mutter sein und trotzdem emanzipiert. Ich kann ehrgeizig sein und Make-Up doof finden und mich trotzdem weiblich fühlen. Ich kann mit Weiblichkeit gar nichts am Hut haben und trotzdem Frau sein. Weiblichkeit kann mir total wichtig sein, auch wenn ich keine Frau bin.
So überfordernd sich all das auch anfühlen kann: Viele der Entscheidungsmöglichkeiten, die wir heute haben, wurden von feministischen und anderen sozialen Bewegungen erkämpft und es ist gut, dass es sie gibt. Und wir finden, dass die Beschäftigung mit den Forderungen und Positionen dieser Bewegungen auch heute noch dabei helfen kann, den eigenen Weg und Umgang mit Weiblichkeit zu finden.
Tipps und Gedanken dazu, was es heißt, eine richtige Frau zu sein, findet ihr hier: