1. Was ist toxische Männlichkeit?
„Toxisch“ bedeutet „giftig“. Unter dem Stichwort „toxische Männlichkeit“ werden Eigenschaften und Vorstellungen von Männlichkeit zusammengefasst, die Jungen und Männern beibringen, gefühllos zu sein, immer souverän und mutig, besser als die anderen. Männlichkeit wird darin als Dominanz und Kontrolle verstanden. Es geht also um Vorstellungen von Männlichkeit, die für uns alle schlecht, eben „giftig“, sind.
Aber Kontrolle haben ist doch nicht schlecht?
Nein, natürlich nicht. Kontrolle ist sogar sehr wichtig. Wir alle lernen, uns zu kontrollieren und beispielsweise nicht einfach loszubrüllen, wenn uns mal etwas nicht passt. Aber die Vorstellung, immer alles unter Kontrolle haben zu müssen, ist problematisch. Bei Männlichkeit wird darunter zum Beispiel verstanden, die eigenen Gefühle unter Kontrolle zu haben und andere Menschen zu kontrollieren.
2. Wie entsteht toxische Männlichkeit?
Jungen wird frühzeitig beigebracht, eigene (Schmerz-)Grenzen nicht wahrzunehmen, Verletzungen nicht zu zeigen und sich „abzuhärten“. Das führt nicht nur zu verletzendem Verhalten sich selbst gegenüber, sondern geht auch häufig mit dem Verlernen der Grenzen und Verletzbarkeit anderer einher. Dazu kommt die Idee, Männer sollten physische Gewalt aushalten und austeilen können.
Wenn ein Junge permanent gesagt bekommt, er müsse unverletzlich und abgebrüht wirken, um ein richtiger Mann zu sein, dann macht das etwas mit ihm. Um als cool und männlich zu gelten, wird der Junge versuchen, seine Emotionen zu unterdrücken, oder sie zumindest nicht zu zeigen. Viele Jungen versuchen, sich abzuhärten und lernen damit, die eigenen Grenzen und die von anderen zu überschreiten. Jungen lernen, dass sie nicht schüchtern sein dürfen, dass sie zuschlagen sollen, statt „sich etwas gefallen zu lassen“. Nicht geschult werden dagegen andere Kompetenzen, zum Beispiel Kompromisse machen, auf andere eingehen, fürsorglich sein, usw.
3. Was bedeutet toxische Männlichkeit für Männer?
Das hat Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter. Viele erwachsene Männer berichten davon, wie schwer es ihnen fällt, die eigenen Gefühle und die Gefühle von anderen wahrzunehmen. Das behindert ganz massiv die Fähigkeit, nahe emotionale Bindungen einzugehen – zur Familie, zu Freund_innen, zur_zum Partner_in.
Diese Vorstellungen von Männlichkeit haben auch langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit. Männer sterben im Durchschnitt früher. Mögliche Gründe dafür sind:
- dass sie eigene Körpersignale übergehen und die nötige Gesundheitsvorsorge nicht ernst nehmen,
- dass sie sich keine Hilfe holen, wenn es ihnen körperlich oder psychisch schlecht geht,
- dass sie riskante Dinge tun (um Mut und Stärke zu beweisen) und so häufiger in Unfälle etc. verwickelt sind.
4. Was bedeutet toxische Männlichkeit für Menschen anderer Geschlechter?
Unter toxischer Männlichkeit leiden alle Geschlechter. Männer selbst, aber vor allem Frauen, Inter* und nicht-binäre Personen.
Der Kern von Männlichkeit ist weiterhin Kontrolle und Dominanz und die werden über Gewalt hergestellt. Einerseits über körperliche und sexualisierte Gewalt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Für heterosexuelle Frauen in Deutschland geht die größte Gefahr, ermordet zu werden, von ihren Partnern und Expartnern aus. Andererseits über verbale, psychische und emotionale Gewalt, wie zum Beispiel Abwertungen und Gaslighting.
5. Was hat das Patriarchat mit toxischer Männlichkeit zu tun?
Neben diesen Formen von Gewalt gibt es auch strukturelle Gewalt. Die ist oft viel schwerer zu benennen. Sie äußert sich zum Beispiel darin, dass Männer im Durschnitt mehr verdienen als Frauen, also strukturell bevorzugt sind. Oder darin, dass Männer in Politik und Wirtschaft viel öfter machtvolle Positionen besetzen. Oder darin, dass Männlichkeit höher bewertet wird als Weiblichkeit. Diese Form der Gewalt geht nicht von Einzelpersonen aus, sondern ist in den gesellschaftlichen Strukturen und unseren kollektiven Vorstellungen eingeschrieben.
Diese Form der Gewalt, der Herrschaft von Männern und Männlichkeit über andere Geschlechter, nennen wir auch Patriarchat. Toxische Männlichkeit ist ein Teil des Patriarchats und spielt darin eine wichtige Rolle. Aber strukturelle Gewalt müssen wir auch auf anderen Ebenen bekämpfen. Kein einzelner Mann kann dieses Herrschaftssystem einfach abschaffen.
Bei toxischer Männlichkeit geht es darum, dass wir uns selbst und die Menschen um uns herum besser behandeln. Beim Patriarchat geht es darum, lang gewachsene Strukturen der Herrschaft, Macht- und Eigentumsverteilung zu verändern. Das können wir nur gemeinsam schaffen!